An wen Geld des Seehofer-Ressorts fließt

Von Marvin Oppong

Mir liegen interne Daten des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) vor, aus denen detaillierte Angaben zu Zahlungen an verschiedene Organisationen und Einzelpersonen hervorgehen. Unter den Empfängern sind Interessenverbände, Stiftungen, Netzwerke, Unternehmen. Die Excel-Datei besteht aus 1.889 Einzeldatensätzen von 2013 bis 2019.

An die Daten bin ich über einen Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz gelangt. Für die Auskunft hat das Seehofer-Ministerium 500 Euro Gebühren, zu zahlen als „Vorschuss“, in Rechnung gestellt.

In seinem Bescheid teilt das BMI mit, Mitarbeiter des gehobenen Dienstes seien „ca. 15 Stunden“ mit der „Sichtung und Prüfung“ der Datensätze befasst gewesen. Mit der „Zusammenstellung der Daten und Zusammenführung der Rückmeldungen“ aus Fachreferaten, die zur Sicherheit auch gleich eingebunden wurden, sei darüber hinaus ein Mitarbeiter des mittleren Dienstes sechs Stunden und ein Mitarbeiter des höheren Dienstes fünf Stunden beschäftigt gewesen. Daraus ergebe sich ein Betrag von 1.155 Euro, der durch den Vorschuss ausgeglichen sei.

Millionen für Olympia

Die Zahlungen betreffen Projektförderungen des Bundes. Die Daten verraten Details zu Zahlungen des BMI im Umfang von insgesamt 800 Millionen Euro. Viele der vom BMI geförderten Projekte sind solche von Organisationen wie z.B. der Arbeiterwohlfahrt, den Maltesern oder kirchlichen Organisationen. Das Heimatministerium fördert zivilgesellschaftliche Vorhaben, Integrationsprojekte von Kommunen, Vereinen und Stiftungen oder die Arbeit mit Geflüchteten. Ein weiterer Schwerpunkt mit mindestens 104 Millionen Euro ist Sportförderung; allein 26,2 Millionen gehen den Daten zufolge in Olympia-Förderung.

Stiftungen

Projektförderungen des Bundes haben stets eine Laufzeit, die oft um die anderthalb bis zwei Jahre beträgt. Deshalb enthält der Datensatz Förderungen, die zwar vor dem Stichtag 24. Juni 2019 erfasst wurden, die aber aktuell noch laufen. Horst Seehofer ist seit dem 14. März 2018 Bundesinnenminister.
Die Einzeldatensätze enthalten Angaben zu den Namen der Zahlungsempfänger, zur Höhe der jeweils bewilligten Bundesmittel und zum Thema der Förderung.

Umstrittener Nehmer

Die Excel-Datei enthält Angaben zu Zahlungen an mehr als 1.000 Empfänger. Einer davon ist das Essener Unternehmen European Homecare. European Homecare geriet 2015 in die Schlagzeilen wegen gewalttätiger Übergriffe auf Geflüchtete in von European Homecare betriebenen Flüchtlingswohnheimen in Nordrhein-Westfalen und der angeblichen Beschäftigung von Rechtsextremen als Wachmännern. Aus den Daten des BMI geht hervor, dass European Homecare über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 888.000 Euro bewilligt wurden zum Thema „Kurse zur Erstorientierung und Wertevermittlung in Mecklenburg-Vorpommern“. European Homecare erhielt zudem vom BMI eine Zusage über weitere 204.000 Euro für „Kurse zur Erstorientierung und Wertevermittlung für Asylbewerber und Asylbewerberinnen in Nordrhein-Westfalen“.

2015 stand European Homecare in der Kritik. Jedoch erst danach, als die Vorwürfe schon bekannt waren, begann die Laufzeit der beiden Förderungen des Bundesinnenministeriums. Das durch das BAMF geförderte Projekt von European Homecare in Mecklenburg-Vorpommern lief von Juli 2017 bis zum 31. Dezember 2019, das in NRW von Juni 2019 bis ebenfalls Ende 2019. Seit dem dem 1. September 2017 darf sich European Homecare Träger der Erstorientierungskurse in Mecklenburg-Vorpommern und NRW nennen.

Laut BMI wurde European Homecare jeweils durch dei Länder NRW und Mecklenburg-Vorpommern im Rahmen eines Interessensbekundungsverfahrens ausgewählt und dem BAMF im Juli 2017 als Träger der Erstorientierungskurse vorgeschlagen. „Zu diesem Zeitpunkt waren die oben angesprochenen Vorwürfe in NRW allgemein bekannt“, erklärte eine BMI-Sprecherin auf Anfrage. NRW und Mecklenburg-Vorpommern hätten „ausdrücklich überprüft, dass in Mecklenburg-Vorpommern bei European Homecare keine den in Nordrhein-Westfalen vergleichbaren Vorfälle aufgetreten sind“. Auch das BAMF habe seine Förderentscheidung „nach pflichtgemäßen Ermessen getroffen“.

BAMF waren Vorwürfe bekannt

Es hätten keine Tatsachen vorgelegen, „die gegen die Rechtstreue und Zuverlässigkeit des Trägers“ European Homecare gesprochen hätten. Das, obwohl, wie das BMI einräumt, „zum Zeitpunkt der Förderentscheidung die angesprochenen Vorwürfe bekannt waren“. Aus den Vorfällen in Nordrhein-Westfalen habe „keine direkte Verbindung zu der Unzulässigkeit des Trägers in Mecklenburg-Vorpommern gezogen werden“ müssen, so das BMI. Zudem habe European Homecare als Träger „dargelegt, dass er die notwendigen Maßnahmen ergriffen hat, um ein erneutes Auftreten der angesprochenen Vorwürfe“ zu vermeiden.

Erstorientierungskurse für Asylbewerber*innen werden im Auftrag des BMI vom BAMF in Zusammenarbeit mit den Ländern durchgeführt. Die Länder schlagen dem BAMF vor, welche Organisation als Träger Erstorientierungskurse anbieten soll. Die letzte Entscheidung trifft aber das BAMF. Dabei spielen laut BMI die Eignung des Zuwendungsnehmers, die persönliche Zuverlässigkeit und die Gewährleistung ordnungsgemäßer Geschäftsführung die formal ausschlaggebenden Kriterien.

European Homecare führe ein Einzelprojekt im Rahmen des Förderprogramms „Erstorientierungskurse für Asylbewerber mit unklarer Bleibeperspektive“ durch, das bundesweit mit unterschiedlichen Trägern abgewickelt wird, so das BMI.

„Abschreckung in der deutschen Flüchtlingspolitik“

Bislang wurden European Homecare als Träger der Erstorientierungskurse in Mecklenburg-Vorpommern Zuwendungen in Höhe von insgesamt 767.000 Euro ausgezahlt. Im Fall von NRW wurden European Homecare über den Datensatz hinaus noch einmal 132.000 Euro für den Zeitraum 1. Januar 2020 bis 30. Juni 2020 bewilligt. European Homecare kann den Rest der bewilligten Gelder nach Bedarf abrufen. Deshalb, so das BMI, könne „kein genauer Zeitpunkt der noch abrufbaren Auszahlungsdaten genannt werden“.

Die migrationspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Filiz Polat, erklärt: „Die Zuwendung von Mitteln an ein Unternehmen wie European Homecare ist überraschend und kritisch zu hinterfragen. Entsprechend werde ich bei der Bundesregierung nachfragen.“

„Dass das Bundesinnenministerium weiterhin Aufträge an ein für rassistische Wachdienstgewalt, Übergriffe auf Flüchtlinge und katastrophale Lebensbedingungen in Unterkünften berüchtigtes Unternehmen vergibt, erscheint Ausdruck des Primats der Abschreckung in der deutschen Flüchtlingspolitik“, so Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. „Das Bundesinnenministerium sollte sich überlegen, was für ein Bild von Deutschland es vermitteln will.“

1,9 Millionen für externen Sachverstand

Viele Empfänger sind gemeinnützige Organisationen oder Vereine, doch auch gewinnorientierte Unternehmen profitieren von Zahlungen des Ministeriums. Eines davon ist die Kienbaum Consultants International GmbH. Sie wurde im Rahmen eines Projekts, das im März 2017 begann und am 31. Dezember 2019 endete, vom BMI gefördert zum Thema „Begleitende Evaluation der Umsetzung des Projektkonzeptes House of Resources“. Das Konzept will Migrantenorganisationen stärken. Die Berater von Kienbaum soll laut den BMI-Daten die Wirkung des Projekts „erfasen [sic!] und die Vernetzung der Projektträger“ unterstützen. Kienbaum wurden bislang 527.000 Euro ausgezahlt und, über den Datensatz hinaus, für das Jahr 2020 noch einmal 209.000 Euro bewilligt, die noch nicht abgerufen wurden.
Bei Kienbaum wollte man sich nur „möglicherweise“ und nur „im Hintergrund“, also nicht zitierfähig, äußern. „Ich bitte um Verständnis, dass wir Aufträge durch Kunden nicht weiter kommentieren können. Bitte wenden Sie sich dafür direkt an den Auftraggeber, in diesem Fall das Bamf“, so Pressesprecher Oliver Stock.

Der Berliner Syspons GmbH bekam über das BAMF 679.000 Euro für „Monitoring, Evaluation und Begleitung der Erstorientierungskurse des BAMF“, Laufzeit November 2017 bis Mai 2020. Für das Jahr 2020 wurden der Firma zusätzlich 282.000 Euro bewilligt, von denen bislang 84.000 Euro ausgezahlt wurden. Weiterhin erhielt die Strategieberatungsfirma 195.000 Euro zum Thema „Evaluierung von Bedarfen und Neuausrichtung der Maßnahmen für Spätaussiedler“ nach § 9 Absatz 4 Bundesvertriebenengesetz. Zu den Vorhaben wollte sich die Firma auf Anfrage nicht äußern. Der Geschäftsführer der Firma, Christoph Emmingshaus, verwies, in „Rücksprache mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“, an das BMI.

Der Sprecher von Kienbaum schrieb im Zusammenhang mit der Zuwendung von einem „Auftrag“, vom „Bamf als Auftraggeber“, dass man „Aufträge durch Kunden nicht weiter kommentieren“ könne und dass man „nicht über ein Auftragsverhältnis“ berichte. Aufträge von Behörden müssen in der Regel öffentlich ausgeschrieben werden. Nach dem Leitsatz des Bundesrechnungshofs zur „Abgrenzung zwischen Zuwendungen und öffentlichen Aufträgen bei der Projektförderung“ dürfen Behörden die Pflicht zur Ausschreibung von öffentlichen Aufträgen nicht umgehen und es muss ein erhebliches Bundesinteresse vorliegen, wenn eine Zuwendung nicht über einen Auftrag, sondern über eine Projektförderung erfolgt. Je enger dieses Bundesinteresse im Zusammenhang mit den selbst von der Behörde zu erledigenden Aufgaben steht, desto eher muss die Behörde, hier das BAMF, eine öffentliche Ausschreibung durchführen.
Eine BMI-Sprecherin erklärte, es handle sich sowohl im Fall von Kienbaum als auch bei Syspons um die „Wahrnehmung einer im Bundesinteresse liegenden öffentlichen Aufgabe durch Stellen außerhalb der Bundesverwaltung“. Darüber hinaus sei „eine Gewinnerzielungsabsicht in beiden Vorhaben ausgeschlossen“.

GmbH
Beteiligt an den Projektförderungen des Bundes sind sogenannte Projektträger. Das größte Finanzvolumen als Projektträger des BMI haben das Bundesverwaltungsamt, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die Bundeszentrale für politische Bildung:

Projektträger2

Ebenfalls ein Projektträger ist das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Dieses fördert für die „zivile Sicherheit“ die Dortmunder ION-Gas GmbH zur schnellen und mobilen Detektion von gasförmigen Gefahrstoffen mittels Ionenmobilitätsspektrometer. Das Unternehmen erhält dafür 199.000 Euro, das Projekt läuft bis Januar 2021.
Der Projektträger Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik gibt der Hochschule Darmstadt 367.000 Euro für „Presentation Attack Detection in der Fingerprint-Erkennung; Entwicklung und Evaluierung von Detektions-Verfahren“. Dabei geht es um die Erkennung von Fake-Angriffen auf Sicherheitssysteme, die mit Fingerabdruckerkennung arbeiten.

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