Bundespolizei Mitteldeutschland: 36 Racial-Profiling-Beschwerden in fünf Jahren

Mir liegen exklusiv 36 Beschwerden im Zusammenhang mit Racial Profiling vor, die in den Jahren 2018 bis 2023 bei der Bundespolizeidirektion Pirna eingingen. Die Bundespolizeidirektion ist zuständig im Freistaat Sachsen, im Freistaat Thüringen und im Bundesland Sachsen-Anhalt.

Im Vergleich zu früheren Zeiträumen fällt der hohe Anteil von (weißen) Menschen auf, die sich über Kontrollen von People of Color (PoC) beschweren. Offenbar gab es nach dem Fall George Floyd und der medialen Berichterstattung in 2020 eine entsprechende Sensibilisierung in der Bevölkerung.

Weiße Menschen beklagen Racial Profiling bei PoC

Beschwerdeführer*innen berufen sich auch direkt auf entsprechende Medienberichte. Eine*r schreibt: „Wie ich in verschiedenen Artikeln gelesen habe (z.B. in der taz: taz.de/Linken-Anfrage), ist dieses Vorgehen auch schon politisches Thema. Diese offenbar gezielte Kontrolle von People of Color stellt auch meiner Meinung nach Racial Profiling dar und sollte dringend gestoppt werden.”

Ein*e andere*r Beschwerdeführer*in schreibt: „Bitte schulen Sie Ihre Beamt*innen dahingehend, dass sie wissen, dass Racial Profiling rechtswidrig ist. Als Schulungsfilm empfehle ich die folgende Dokumentation: zeit.de/video/2020-08/“.

Beschwerde durch Max-Planck-Kooperationspartner

Ebenfalls wie ein roter Faden – die Beschreibung des Umgangs von Bundespolizist*innen mit Kontrollierten: „Unfreundlich“ und „gereizt“ heißt es in zwei Beschwerden, ansonsten noch „arrogant“, „autoritär“, „respektlos“, „schroff“, „pampig“, „aggressiv“, „vorwurfsvoll“ und „ungehalten“.

In einem Fall hat sich eine Person über Racial Profiling beschwert, die schreibt, sie habe „mehrere hochrangige Kooperationen mit den folgenden Direktoren des MPI: [gefolgt von Unkenntlichmachung]“. Die Abkürzung „MPI“ steht gewöhnlich für Max-Planck-Institut[e].

Sprengstoff-Kontrolle bei Bartträger ohne Erklärung der Rechtsgrundlage

Im April 2023 beschwerte sich ein Mann, dass nach erfolgreichem Durchlaufen der Sicherheitskontrolle jemand laut nach ihm rief. Hinter ihm hätte ein bewaffneter Polizeibeamte und ein Mann mit Handschuhen gestanden, der gesagt habe: „Wir müssen sie auf Sprengstoff untersuchen“.
Als er gefragt habe, warum er von seiner Reisegruppe abgetrennt, in einen Kontrollbereich geführt werde, sei ihm nur gesagt worden, seine Tasche zu öffnen. Als er gefragt habe, warum er ausgesucht worden sei, sei er nur gebeten worden, zu warten. Nach dem Sicherheitscheck sei der Mitarbeiter ohne Erklärung weggegangen.
„Ich habe einen gewachsenen Bart, ich sehe aus als käme ich aus dem Nahen Osten und ich habe arabische Schrift auf meinem Rucksack. Meine Reisegruppe sah nordeuropäisch aus, wie der Rest im Sicherheitsbereich.“ Die Kontrolle sei für ihn „beschämend“ gewesen und er vermute, dass er „aufgrund seines Aussehens“ ausgewählt wurde auf Basis von „Vorurteil und Rassismus“.

„Teilweise begründet[e]“ Beschwerden betreffen ausschließlich Flughafen Dresden

Im Juli 2018 beschwerte sich eine Frau beim Sächsischen Staatsministerium des Innern im Namen ihres Partners. Bei der Ankunft am Flughafen Dresden werde „prinzipiell nur er aufgefordert sich auszuweisen. Mitteleuropäisch – aussehende Mitreise“, sie inbegriffen, dürften „ohne Kontrolle passieren“.
Ihr Partner werde „bei Einreisen in die Bundesrepublik immer wieder mit zynischen Bemerkungen und abwertenden Gesten hinsichtlich seiner Papiere konfrontiert“. Bei einer Ausweiskontrolle bei einer Flixbus-Reise Prag-Dresden habe man auf die Frage, seit wann er in Dresden lebe und die Antwort „seit 2011“ „spöttisch erwidert: „Naja, das muss dann wohl so sein.“ Außerdem seien die Äußerungen „Der…(Ausweis/Führerschein)…ist doch eh abgelaufen“ und „…das ist wohl in Italien so…“ gefallen.
Ausweise/Pässe anderer Ausländer seien vor Ort kontrolliert und wieder ausgehändigt worden. Der Ausweis ihres Partners sei „einbehalten und ohne Information mit aus dem Bus genommen“ worden.

Bundespolizei räumt mangelhafte Kommunikation ein

Laut Bundespolizei lag in keinem der beiden Fälle Racial Profiling oder Rassismus vor. Grund dafür, dass bei zwei Beschwerden die Bewertung „teilweise begründet“ erfolgte, sei in beiden Fällen „die mangelhafte Erläuterung der Rechtsgrundlagen“ bei den Kontrollen.
„Das Fehlverhalten lag darin, dass die betreffenden Beamten die getroffenen Maßnahmen nicht ausreichend dargestellt/erläutert und deshalb nicht zum Verständnis aufseiten des Beschwerdeführers beigetragen haben.“

Beschwerdevorwurf: Racial Profiling bei 14-Jährigem auf dem Schulweg

Im Juni 2020 beschwerte sich jemand über „Racial Profiling“ bei einem „14-jährigen Jungen auf dem Schulweg“. Der Sohn sei im Hauptbahnhof Halle „von zwei uniformierten Polizistinnen (m+w) auf Englisch angesprochen“ worden. Als er auf Deutsch geantwortet habe, dass er „des Deutschen mächtig“ sei, sei der 14-Jährige nach seinem Ausweis gefragt worden.
Nachdem er seinen Schülerausweis vorgezeigt habe, sei er gefragt worden, ob er aus Deutschland sei. „Er bejahte dies. Erwiderung darauf: Sein Name wäre aber nicht Deutsch, er könne ja auch von sonst irgendwo kommen“. Außerdem sei der Sohn gefragt worden, ob er ein Messer dabei habe.
Die Polizisten seien „unfreundlich, vorwurfsvoll und gereizt“ gewesen. Der Sohn sei „durch den Vorfall völlig verstört und aufgewühlt“.
Im April 2024 wurde die Polizei in Berlin wegen Diskriminierung verurteilt, weil ein Polizist auf die Antwort „Bochum“ einen Bürger fragte, woher er wirklich komme.
Die Beschwerde aus Halle wurde von der Bundespolizei als unbegründet beschieden. Es habe sich nicht um Racial Profiling gehandelt.

Reisepass kopiert nach Racial-Profiling-Beschwerde

Laut den mir vorliegenden Unterlagen beschwerte sich 7/2022 eine Frau über eine Kontrolle bei der Bundespolizeiinspektion Leipzig. Sie sei mit Mann, Tochter, Bruder und Eltern unterwegs gewesen, aber nur Ihr Mann sei nach dem Ausweis gefragt worden: „Der einzige Grund, weswegen er angehalten wurde, war seine dunkle Hautfarbe“. Die Beschwerdeführerin schreibt weiter zu dem „Vorgesetzten der Bundespolizei vor Ort“ bzw. zur „Dienstellenleitung“: „Er kopierte sich meinen Reisepass und gab mir eine Visitenkarte von sich heraus.“ (siehe hierzu auch  „Verwaltungsgericht: Bundespolizei hat illegal meinen Personalausweis kopiert“)

Auf Anfrage hieß es hierzu bei der Bundespolizeidirektion Pirna, die Sachverhaltsschilderung treffe nicht zu. „Die Beschwerde wurde als unbegründet bewertet.“ Auch liege kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz, die Europäische Menschenrechtskonvention oder die internationale Anti-Rassismus-Konvention vor. Es würden nicht systematisch Ausweise ausgewählter Reisender fotokopiert. Der in Rede stehende Polizist sei „nicht Dienststellenleiter, gleichwohl aber Mitarbeiter der Dienststelle“, so die Pressestelle.

6/2021 beschwerte sich jemand bei der Bundespolizei Pirna über eine aus seiner Sicht rassistische Kontrolle bei einer „Schwarzen Person“ im RE 16324 von Halle nach Magdeburg: „Der Polizist hat daraufhin meinen Ausweis sehen wollen, dem Kollegen gegeben, der davon ein Foto gemacht hat“, heißt es dort. Diese Beschwerde wurde ebenfalls als unbegründet beschieden.